Karl-Heinz Ott: Und jeden Morgen das Meer

buecherfreuden • 22. September 2020

Verloren in Wales

Seit Sonja ins abgeschiedene, sturmumtoste Abydyr geflohen ist, steht sie jeden Morgen auf den Klippen und schaut aufs walisische Meer hinaus.

Ihre Gedanken kreisen um die Vergangenheit – um ihren Mann Bruno, den Sternekoch, der irgendwann resignierte und sich selbst zerstörte, um den Verlust von Gourmet-Restaurant und Hotel Lindenhof, das Brunos Bruder sich unter den Nagel riss, um die unbekannten Eltern, die früh verlorene Großmutter, die Kindheit im Klosterinternat, die Nutzlosigkeit einer Frau Anfang 60, die ihre Position verloren hat. 


Sie rekapituliert ihren völligen Niedergang von der gefeierten Restaurantchefin am Bodensee ins bodenlose Nichts. Jetzt könnte sie sich jederzeit in die schäumende Gischt stürzen, aber das Meer mit seinem steten brausenden Kommen und Gehen gibt ihr gleichzeitig Halt.


Erst nach und nach erschließt sich aus einzelnen Erinnerungsfetzen und Gedankenströmen die ganze Geschichte, doch bis zum Schluss bleibt vieles schattenhaft und lässt Raum für Spekulationen. 


Es ist die Geschichte eines Abschieds auf Raten, traurig und verzweifelt. Und doch ist es ein Genuss, diesen kurzen Roman zu lesen. Die Sprache ist klar und elegant, die stimmungsvollen Beschreibungen ziehen den Leser in die Gefühlswelt der Protagonistin hinein. Ein kleines literarisches Kunstwerk!


Karl-Heinz Ott: Und jeden Morgen das Meer


Erschienen bei Hanser. Bildrechte: Hanser.


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