Aufgrund ihrer beginnenden Demenz bewegt sich Margaret auf schwankendem Boden. Was ist Realität, was hat sich nur in ihrem Kopf abgespielt? An manches kann sie sich erstaunlich gut erinnern, doch da sind auch viele Lücken, Unsicherheiten und Verwechslungen. Diese Verletzlichkeit der Hauptfigur macht für mich den besonderen Reiz der Geschichte aus. Es war sehr berührend zu verfolgen, wie Margaret darum kämpft, bei klarem Verstand zu bleiben und die richtigen Schlüsse zu ziehen. Die liebevolle Beziehung zu ihrem Enkel ist herzerwärmend; zugleich konnte ich auch mit der Tochter mitfühlen, die die große Last von Sorge und Pflege trägt.
Die Geschichte folgt Margarets Wahrnehmung sehr nah und lässt die Lesenden ihre Unsicherheit unmittelbar miterleben. Dadurch entsteht weniger klassische Spannung, dafür aber eine große emotionale Nähe zur Hauptfigur.
Vom Cover her hatte ich zunächst eine der typischen rüstigen Hobbydetektivinnen im Stil von Miss Marple erwartet, doch Margaret entspricht diesem Bild nicht. Obwohl sie versucht, das Rätsel um Barbaras Ermordung zu lösen, stehen für mich die Auseinandersetzung mit ihrer Alzheimer-Erkrankung und die Familiengeschichte deutlich im Vordergrund. Der Grundgedanke, eine demenzkranke Person ins Zentrum eines Mordfalls zu stellen, hat mich sehr an Elizabeth wird vermisst von Emma Healey erinnert.
Die Geschichte wird insgesamt sehr einfühlsam, warmherzig und mit leisem Humor erzählt. Die Identität des Mörders habe ich zwar relativ früh erraten, doch der Zusammenhang war am Ende komplexer als zunächst vermutet. Ein sehr empfehlenswerter Krimi der besonderen Art – ruhig, menschlich und lange nachhallend.
Richard Horton: Der Tag, an dem Barbara starb
Erschienen am 13.11.2025 bei dtv. Bildrechte: dtv










